Von Bernhard Krebs
„Sag einfach Walter und DU zu mir.“ Ich war ungefähr 16 Jahre alt, als Walter mir dieses Angebot machte, das wie ein Befehl klang. Walter war uralt (ungefähr 40) und wie ich Mitglied der 2. Mannschaft eines Sportkegelvereins. Ich war mit Abstand der Jüngste und Walter bei weitem nicht der Älteste.
Zur ungefähr gleichen Zeit erhielt mein Freund Jürgen, der Fußball spielte, von seinem Trainer das gleiche Angebot, während Markus aus unserer Clique bereits seit einem halben Jahr die älteren Kollegen in seiner Blasmusikkapelle duzte. Peter und Sebastian beim Skiclub, Johannes bei den Taubenzüchtern, Rudi bei den Modellbauern und Kevin im Festspielverein – wir alle wurden plötzlich erwachsene Mitglieder der Gesellschaft.
Mit einem einfachen DU.
Nein, es waren nicht die Mädchen, denen wir seit geraumer Zeit hinterher stiegen. Und es waren nicht die Mofas und Mopeds, mit denen wir – gut frisiert – lärmend die Straßen unsicher machten. Und es waren schon gar nicht Alkohol und Nikotin, mit denen wir uns den Respekt der Älteren verdienten. Unser Initiationsritus fand in unserem Verein statt – egal, welcher es auch war. Und es waren die meist sehr beiläufige Feststellung „ab sofort bin ich für dich der Walter“ und die simple Anordnung „sag DU zu mir“, die uns zeigten: Du gehörst jetzt dazu.
Keine Prüfung, keine Feier, keine wohlfeile Rede. Tatsächlich war es mir und all den anderen Jugendlichen meiner Generation (und denen davor und danach) nicht bewusst, welche Bedeutung dieses einfache DU haben sollte. Es machte uns zu von den Älteren akzeptierten Männern. Wir waren nicht mehr beschränkt auf unseren kleinen Kosmos der jugendlichen Clique, in dem wir bereits unglaublich cool und erwachsen agierten.
Wir durften ab sofort ganz lässig am Spiel der Erwachsenen teilnehmen: „Du, Walter, das war gerade ein klasse Spiel“ ist einfach eine andere Liga als „Herr Müller, darf ich auch etwas dazu sagen?“. Eigentlich schade, dass Kinder mittlerweile jeden Erwachsenen duzen. Nicht wegen des Respekts, sondern weil ihnen etwas fehlt: Das Bewusstsein bzw. vielmehr die Gewissheit, an einem bestimmten Zeitpunkt mit einem einfachen DU zum Erwachsenen zu werden.
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