Der T-Rex im Wald

Meine Frau hat mich zum Lauftreff des SC angemeldet. Ich bin jetzt Mitglied in der Leichtathletikabteilung, weil ich angeblich Übergewicht habe. Der Lauftreff soll nächste Woche am Dienstagabend beginnen – ich dachte mir: Ein bisschen Vorbereitung kann nicht schaden. Also bin ich gestern gejoggt.

Heute bin ich verletzt. Den stechend-dumpfen Schmerz in der rechten Wade hatte ich gestern bereits nach 100 Meter gespürt, aber ich bin weiter gelaufen. Wenn man das überhaupt Laufen nennen darf, das Verb „walzen“ würde es wohl eher treffen. Oder „stampfen“.

Es regnete gestern. Der Himmel weinte über den dicken Mann, der röchelnd, hustend und pfeifend einen Fuß vor den anderen setzte. Die riesige Pfütze vor mir schlug leichte Wellen, was die Phantasie meines blutleeren Kopfes und die Erinnerungen an den Film „Jurassic Park“ unheilvoll verband: Ich bekam panische Angst vor einem T-Rex hinter der nächsten Ecke.

Nein, diesmal war es nicht der Weiße Hai – vor dem flüchte ich nur im Meer, wenn ich 100 Meter vorm Ufer plötzlich merke, dass kein anderer Mensch in meiner Nähe ist.

Dreimal einatmen, viermal ausatmen. Ich erinnerte mich an den sportlichen Rhythmus meiner Jugend, als Joggen noch Laufen hieß und ohne Aufwärmen, Stretching und Cool-Down auskommen musste. Gestern schaffte ich gerade zweimal den Rhythmus und wechselte sofort in „einmal einatmen, einmal ausatmen“ über. Dafür legte ich bereits nach fünf Minuten die dritte Verschnaufpause ein und stolperte bei Kilometer 2 über eine vermaledeite Wurzel.

Jenseits der 40 fällt man schwer. Sehr schwer. Ich fühlte mich erbärmlich, bar jeglicher Würde. Das änderte sich auch nicht, als ein übergewichtiger Jung-Jogger in hautenger und neonfarbener Funktionskleidung an mir vorbei wabbelte. Rosa und Gelb sind wenig kleidsam für dicke Jünglinge – im Schlabberlook am Boden liegend sollte man Lästereien jedoch tunlichst unterlassen. Ich also den letzten Stolz zusammen gerauft, aufgerappelt und dem rosa-gelben Jogger-Kanari hinterher.

Nicht lange, denn schon brachte sich vehement die Wade in Erinnerung, nahm der Jogger vor mir an Fahrt auf (zumindest redete ich mir das ein) – und überholte mich grinsend ein sportlicher, sonnenbraun gegerbter Senior. Offensichtlich ein „Ü70-Best-Silver-Ager“ vom SC, woraufhin ich umgehend beschloss, später einmal ein unsportlicher Greis zu werden, der auf einer Bank sitzend den Mädchen hinter her schaut.

Ich bin verletzt. Es ist ein Muskelfaserriss in der Wade, so die vorhin konsultierte Hausärztin. Ich fragte sie nicht, wie lange ich jetzt nicht mehr joggen darf. Denn ich bin mir sicher: mehrere Monate. Mindestens.

Den Mitgliedsbeitrag für die Leichtathletikabteilung des SC zahle ich trotzdem. Klingt irgendwie ja auch gut, wenn ich sage: Ich bin im Lauftreff angemeldet.

 

 

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